Präsident/in, übernehmen Sie

Auf das künftige Staatsoberhaupt kommt eine Aufgabe zu, die historisch ist: Sie oder er werden das Amt selbst zu verteidigen haben

Als bei Phoenix unter dem Titel „Millionen für Wulff – Eine Frage der Ehre?“ der Satz fiel: „Es muss ein Rest von Hygiene einkehren in dieser unsauberen, schmutzigen Affäre“, dürften zwei Männer tief Luft geholt haben. Wenn sie sich den Vize-Chefredakteur der BILD Nikolaus Blome, der den Satz gesagt hat, überhaupt noch antun.

Der eine hat mit dem Wettergeschäft zu tun, war in einem aufsehenerregenden Strafprozess Angeklagter und wurde frei gesprochen. Vor wenigen Wochen attestierte das Oberlandesgericht Köln in gleich drei Urteilen sowohl dem Blatt als auch seiner online-Präsenz, die Persönlichkeitsrechte des Mannes in den Schmutz gezogen zu haben.

Die saubere BILD

Auch da hatten sich die Spitzen-Medien der Axel Springer AG auf die Person konzentriert. Für die detaillierte Ausbreitung dessen sexueller Gepflogenheiten hatte der zweitgrößte Medienkonzern Deutschlands die Pressefreiheit als Entschuldigung vorgeschoben. Die freilich das Gericht aus guten Gründen nicht angenommen hat: „Ein schützenswertes, über die Befriedigung einer allge­meinen Neugier oder Sensationslust hinausgehen­des Interesse an der Aufdeckung dieses absolut geschützten Bereiches besteht nicht.“

Mit anderen Worten: Wegen des Geldverdienens an der Sensation waren die Intimsphäre und damit die Würde des Menschen, die gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes unantastbar ist, angefasst worden. Man hat schon edlere Motive als niedrige Beweggründe bezeichnet.

Um der Gerechtigkeit (und nicht der Pinsel, die das Tinten- zum Schmierfaß gemacht haben) wie der Richtigkeit willen sei bemerkt, die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Und es dürfte nicht daran zu zweifeln sein, dass die Justiziare des Medienkonzerns die Auseinandersetzung bis zum Bundesverfassungsgericht treiben werden. Das ist deren gutes Recht.

Als Tatsache bleibt, dass bereits zwei Instanzen und jetzt ein Richterkollegium einen nachlesbaren Spruch erlassen haben. Danach könnten die Worte Hygiene und Schmutz geeignet erscheinen, von dem Mund eines der Hauptverantwortlichen der Publikationen ausgesprochen, eine anrüchige Symbiose einzugehen.

Der saubere „Bedienstete“

Im Fall des Christian Wulff, dem derzeit die fast uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Veröffentlichungen mit den vier Buchstaben gilt, geht es noch ein Gran härter zu. Denn nachdem die Vorverurteilung der Person, völlig losgelöst von Gesetz oder einer gerichtlichen Verurteilung, erfolgreich per Meinungsumfrage („Steht Ex-Bundespräsident Wulff der Ehrensold Ihrer Meinung nach zu?“) und Auswertung („Riesen-Empörung über Sofort-Rente!“) vollstreckt worden ist, steht nun das Amt selbst im Visier.

Der gesetzlichen Neuregelung, die Blome „schnell und radikal“ anmahnt, liegt dessen Verständnis vom Bundespräsidentenamt zugrunde. „Er ist Staatsdiener“, hat er dazu in der Phoenix-Sendung festgestellt. Diese aus dem Feudalismus stammende Bezeichnung markiert den besoldeten Weisungsempfänger, egal ob im Beamten- oder einem ähnlichen Dienstverhältnis. Und es ist eine absichtsvolle Bezeichnung, denn auch Blomes Medien (sowie die dreimalige Wiederholung der Sendung, ihre Perpetuierung im Stream beim Sender, bei BILD und bei der Freitag) haben die Position transportiert.

In deren online-Editionen waren in den vergangenen Tagen zu den jeweiligen Wulff gewidmeten Texten Inserts eingeblendet, in denen über die Bezugskürzungen bei Beamten wegen Fehlverhaltens berichtet wurde. Diese suggestiven Schaukästen sind mittlerweile verschwunden, dafür prangte zum sonntäglichen Artikel „Wird der Ehrensold gekürzt?“ der Vergleich: „Ein normaler Arbeitnehmer müsste rund 600 Jahre arbeiten, um eine ähnliche Pension wie Wulff (598 Tage im Amt) zu erreichen.“ Derartige Summenspiele mögen populär sein, weil sie vorgeblich eine in Geld ausgedrückte Ungerechtigkeit wiedergeben.

Das Projekt der angesprochenen Medien ist freilich ein anderes: Es ist nicht weniger als der Aufruf zum offenen Verfassungsbruch. Damit hat BILD offenkundig immer weniger Probleme.

Die Masche von der Sauberkeit

Denn das Ziel, das Amt des Bundespräsidenten der Logik einer Disziplinierung kraft Besoldung zu unterwerfen, ihn also tatsächlich zu einem Bediensteten des Staates zu machen, widerspricht dessen Stellung als Verfassungsorgan. Sie ist, jenseits der Aufgabenbeschreibungen im Grundgesetz, eine Frage nach der höchst möglichen inneren wie äußeren Unabhängigkeit des Amtes.

Sie wurde beispielsweise verdeutlicht, als Horst Köhler 2005 seine von der parlamentarischen Mehrheit abweichende Meinung zum Luftsicherheitsgesetz bekannt gegeben hat. Mit dessen Kernsatz: „Damit wird Leben zugunsten anderen Lebens geopfert“ hatte er nicht nur zutreffend die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorweg genommen. Er hat die einzelnen Mitglieder eben dieser parlamentarischen Mehrheit desavouiert, in dem er sie als potentielle Täter gegenüber den Menschen, die sie eigentlich zu schützen hätten, kennzeichnete. Köhler nahm dabei auch die rechtliche Gestaltungsmöglichkeit in Anspruch, die das Grundgesetz dem Staatsoberhaupt einräumt.

Die gleiche Unabhängigkeit bewies Christian Wulff in politischer Hinsicht, als er entgegen zahlreicher Stimmen insbesondere aus der Union am 20. Tag der Deutschen Einheit erklärte: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“

Wulff konnte diese Unabhängigkeit schließlich nicht mehr verkörpern. Denn mit dem Verdacht einer Vorteilsannahme, also einer Spielart der Korruption, schwingt zwangsläufig bei jedem politischen oder Hoheitsakt des Amtes die Frage mit, wie interessensgeleitet der Inhaber sein mag. Die Frage ist vor und jenseits jeden Schuldspruchs pertinent; sie stellen zu können, ist vitaler und damit unverzichtbarer Kern einer lebendigen Demokratie.

Aber Unabhängigkeit ist nur in Maßen justiziabel, und sie darf erst recht nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden, in die Abhängigkeit von einem Disziplinierungskorsett.

Die Herausforderung

Den Erwägungen erteilen Blome und die von ihm mit verantworteten Medien tout court eine Absage und damit nicht nur der Unabhängigkeit des Verfassungsorgans, sondern auch der Möglichkeit setzender politischer Diskurse. Mit dem Austausch des einzigen nicht kollektiven Verfassungsorgans durch einen Typus im Status des Beamten wäre symbolhaft in Deutschland die Hürde genommen, Politik durch besoldete Technokratie zu ersetzen.

Aber nicht nur die Kampagne der Publikationen aus dem Haus Springer haben unverhofft der Auswahl der Person, die künftig das Amt bekleiden wird, eine wirkliche Herausforderung beschert. Weil jemand nicht „ehrenhaft“ gewesen sei, so der allgemeine Tenor, müsse das Gesetz abgeschafft werden, das „Ehrenhaftigkeit“ voraussetze. Und bedeutete, dass sich niemand mehr eine Person mit derartiger Eigenschaft auf dem Posten vorstellen kann.

Wer dieses seltsame Ergebnis der aktuellen Diskussion seiner Entscheidung in der Bundesversammlung zugrunde legen würde, müsste unvermeidlich am Zielkonflikt scheitern.

Tatsächlich sollte von den Bewerbern erwartbar sein, dass sie in der Lage sein werden, sehr selbstbewusst nicht nur die eigene, sondern auch die Unabhängigkeit des Amtes zu wahren. Und sie werden die Statur haben müssen, jedem Anwurf zu begegnen, diese Verteidigung diene (auch nur mittelbar) der Sorge um die eigene Versorgung.

Angesichts des Furors schon fast eine Mission Impossible. e2m

2 Gedanken zu “Präsident/in, übernehmen Sie

    1. Möglicherweise gibt es noch mehr Querverbindungen, denen nachzugehen sich lohnte.

      Worauf Sie sich beziehen, habe ich mit nur einem Nebensatz erwähnt: „Mit dem Austausch des einzigen nicht kollektiven Verfassungsorgans“. Diesen (m.E. auch psychologischen) Aspekt konnte ich vorliegend nicht weiter vertiefen, der Blog ist ohnehin mehr ein Steinbruch, aus dem ich mich später bedienen werde.

      In den Zusammenhang gehört auch irgendwann die Frage nach sog. „soft laws“ wie Verhaltenscodizes. Das wäre etwa am Beispiel des „Deutschen Corporate Governance Kodex“ zu vertiefen, der geradezu das Paradebeispiel ist für eine Schnittstelle zwischen parlamentarischem, gesetzten Recht (u.a. im Aktiengesetz) und „Verhaltens“regeln der „sauberen Gouvernance“. Das allerdings wäre eine vier-Augen-Aufgabe, denn bereits ein erstes Überfliegen der Materie sagt mir, dass da einige Tretminen versteckt sind.

      Es wäre gut, wenn ein gut geschultes Auge wie das eines Nescovic darüber schauen würde. Allerdings hat er mich mit der Äußerung, die Entscheidung zum Ehrensold sei „unehrenhaft, weil rechtswidrig“ ziemlich erschreckt. Das von einem Verfassungsrichter a.D. zu lesen war, ich sage es gelinde: eine Zumutung.

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