Neue Böhmische Dörfer: Satire und Hobbyjuristen

Satire – Nicht nur seine Aussagen sind, sondern auch die Person Böhmermann scheint mittlerweile eine Zumutung. Das kann kein Gericht der Welt reparieren.

Nun ist die Justiz damit befasst. Aber wird sie dazu beitragen, „Ruhe in die Sache“ zu bringen, wie es Heribert Prantl in der Süddeutschen unlängst als Wunsch formulierte? Welche Sache sich mit den Äußerungen von Jan Böhmermann verbindet, ist seinerseits der Kasus: Viele Ebenen, manche schreiben von Metabenen, treffen hier aufeinander. Aufgedröselt wollen sie alle werden. Aber auf welche käme es an?

Die juristische Aufarbeitung ist nur ein Ausschnitt dessen, was wenige Minuten aus einer vollständigen TV-Sendung in der uns bekannten Welt ausgelöst haben. Sie wird sich im verfassungsrechtlichen Sinne damit befassen, was gesagt (und gesendet) werden darf. Das ist keine geringe Aufgabe, so wenig wie Artikel 5 Grundgesetz sich nur mit zwangloser Plauderei befasst.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Blick auf die freie Rede geurteilt: „Meinungen sind anders als Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet“. Darauf „bezieht sich der Grundrechtsschutz. Er besteht […] unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird“. Und: „[D]ie Meinungsfreiheit [ist] schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Ordnung.“

Voraussetzung für diese Anstrengung der Abstraktion, die zweifellos mit der Notwendigkeit einer gewissen Selbstüberwindung einhergeht, ist die „Deutung“. Sie „ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist […] weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat.“

Dass es mit einem solchen Publikum in der Praxis nicht weit her ist, zeigte bereits die Sendung selbst: Bei jedem zweiten Reim applaudierte das im Studio anwesende frenetisch, was Böhmermann mit einem kurzen, aber deutlich verständnislosen Kopfschütteln quittierte.

Das noch wortmächtigere, das der professionellen Rezipienten, hat ausschnittsweise nur das in den Mittelpunkt der Wahrnehmung gestellt, was zupass war: Die Zeitung mit den vier Buchstaben und online etwa ausschließlich die Spottreime als Video, garniert mit dafür von ihr extra angefertigten türkischen Untertiteln; Hakan Tanriverdi darauf aufbauend („Ich habe das Video gesehen, nicht aber die gesamte Sendung. Offenbar hat Böhmermann sein Gedicht mit einer Einschränkung eingeleitet“) mit seiner Beurteilung Richtung Rassismus.

Doch wäre das, was die Hüter der Verfassung voraussetzen, ein Postulat für Medien und ihre Konsumenten: „[Es] ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird daher den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht.“

Die obigen juristischen Zitate stammen alle aus einem Beschluss des BVerfG vom 10. Oktober 1995 (Az.: 1 BvR 1476, 1980/91 und 102, 221/92, Volltext, BVerfGE 93, 266, bei dejure). Es befasst sich mit dem Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“. Sie ist damit die wohl bekanntere Entscheidung, die zwar kein Staatsoberhaupt zum Gegenstand hat, aber doch eine andere, für Deutschland staatstragende Institution, die Bundeswehr. Deren Angehörige hatten sich durch das Zitat beleidigt gefühlt.

Einen Tick härter war die vorausgehende Entscheidung vom 25. August 1994 (Az.: 2 BvR 1423/92, Volltext) gewesen. Denn hier war das Tucholsky-Zitat isoliert und als Aufkleber verwendet worden. Die vom Verfassungsgericht aufgehobene Verurteilung durch die Instanzgerichte lautete nicht lediglich auf Beleidigung, sondern Volksverhetzung. Knapp die Begründung: Die Strafgerichte hätten „Mörder“ in einem ausschließlich juristisch verstandenen Sinn interpretiert und nicht den allgemeinen Sprachgebrauch berücksichtigt. Sie hätten Kontexte außer Acht gelassen. Und sie hätten der „beanstandeten Äußerung einen Sinn gegeben, den diese objektiv nicht hat“.

Gleichwohl waren die Reaktionen alles andere als ruhig: „Morddrohungen gegen die Richterinnen und Richter. Polizeischutz. Politiker empören sich: ‚Skandalösestes Fehlurteil des Bundesverfassungsgerichts seit Bestehen der Bundesrepublik!‘ Soldaten der Bundeswehr sehen sich diskreditiert“. So fasst es in der Rückschau der Jurist und Psychologe Volker Kitz bei Spiegel-online zusammen, Heribert Prantl zumindest für die Vergangenheit empirisch widerlegend. Um dann aber einen Kurzunterricht anzufügen, wo die „Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung“ verlaufe, quasi mathematisch exakt.

Die Fragen, die sich also aufdrängen würden, wären: Darf alles gesagt werden, weil es (angeblich) Tucholsky gesagt hat? Wie weit geht der zu berücksichtigende Kontext in der zur Causa mutierten Sache? Wozu Gerichte, wenn ohnehin jeden Tag ein öffentliches Tribunal tagt? marian.schraube@gmx.net

(to be continued)

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