Ignaz Semmelweis, Retter der Alternativmedizin

Semmelweis!“ dieser Name, gennant in einer Diskussion über Alternativmedizin ist eines der Argumente, wenn es darum geht, die Grenzen der ‚Schulmedizin‘ aufzuzeigen. So zu beobachten in der ZDF-Sendung „log in“ zum Thema Alternativmedizin (55:30min). Ein gutes Argument, denn in der Tat zeigt die Geschichte von Ignaz Semmelweis, einem ungarischen Arzt, der Mitte des 19. Jahrhunderts in einem Krankenhaus in Wien arbeitete, die Grenzen der Schulmedizin auf. Einer Medizin, die es in der Form nicht mehr gibt. Außerem soll damit auch ein Argument gegen einige alternativmedizinische Methoden entkräftet werden: ‚Es kann nicht wirken‚. Beleuchtet man die Geschichte Semmelweis eingehender, löst sich dieses Argument jedoch auf wie ein Globuli im Wasser.

In dem Krankenhaus, in dem Semmelweis in der Geburtshilfe arbeitete, gab es eine, mit über 20%, hohe Sterblichkeit unter den Müttern, die dort ihre Kinder geboren hatten. Allerdings nur auf der Station, die von Medizinstudenten und Ärzten betreut wurde. Auf der anderen, von Hebammen betreuten Station, war die Sterblichkeit mit 1-3% deutlich geringer. Um dieses Rätsel zu lösen arbeitete Semmelweis hart und untersuchte die Frauen besonders gründlich, wourch er, ohne es zu wissen, das Problem noch vergrößerte.

Als er von einer Reise wiederkam, entdeckte Semmelweis, dass ein Freund, der sich im Rahmen einer Leichensektion geschnitten hatte verstorben war. Vor seinem Tod hatte er an ähnlichen Symptomen gelitten, wie die erkrankten Mütter. Das ließ ihn eine Verbindung zwischen der Sektion von Leichen und der Erkrankung der Mütter ziehen. Semmelweis ging bereits davon aus, es gäbe eine Noxe, die von den Leichen auf die Mütter übertragen würde, auch wenn er diese noch nicht benennen konnte. Die Bakteriologie, welche diese Fragen hätte beantworten können, entstand erst Jahrzehnte später.

Semmelweis stellte fest, dass sich die Sterblichkeit von Müttern auf der Entbindungsstation drastisch senken ließ, wenn man sich vor deren Untersuchung die Hände desinfizierte. Der von ihm beobachtete Effekt war beachtlich. So sank die Sterblichkeit von über 20% auf ca 1% und ließ sich, durch weiter verschärfte Hygiene unter das Niveau der von Hebammen betreuten Station senken.

Die Ergebnisse stellte Semmelweis seinen Kollegen vor, wobei er selber ziemlich geschockt davon war, verantwortlich für den Tod seiner Patientinnen gewesen zu sein. Seine Erkenntnis stieß bei den Vorgesetzten auf wenig Gegenliebe. Zum einen, weil viele noch an durch die Luft übertragene Miasmen glaubten, zum anderen weil Semmelweis mit einer gewissen Vehemenz auftrat, die sicher berechtigt, seiner Sache jedoch nicht dienlich war. Auch dauerte es Jahre, bis er seine Ergebnisse veröffentlichte, nicht jedoch, ohne dabei seine Kollegen als Mörder zu bezeichnen. Semmelweis starb 1865 in einer Irrenanstalt, ohne dass seine Arbeiten größere Beachtung gefunden hätten, an einer Blutvergiftung. Der gleichen Krankheit, vor der er viele Frauen hatte bewahren können.

Diese Geschichte wird also noch heute als Beleg herangezogen, dass neue Ideen in der Medizin es schwer haben. Die verkürzte Botschaft, übertragen auf heute, lautet: Alternativmedizinische Methoden werden unterdrückt, obwohl (oder gerade weil?) sie den vorhandenen Methoden in der Medizin überlegen, doch zumindest gleichwertig sind.

Doch was genau hat Semmelweis gemacht? Gehen Verfechter alternativmedizinischer Methoden ähnlich vor?

Semmelweis stellte aufgrund seiner Beobachtung eine These auf und überprüfte diese. Die Überprüfung ergab, dass seine These wahrscheinlich richtig war. Dabei war über das Ergebnis schwer zu diskutieren, es ging um Leben und Tod. Seine Methode war nachvollziehbar und reproduzierbar. Ebenso wie seine Ergebnisse. Allein diese Punkte zu erfüllen ist bei vielen alternativmedizinischen Methoden nicht möglich. Semmelweis stand jedoch auch vor einem Problem: Er konnte nicht erklären, warum das Waschen der Hände diesen Effekt hatte.

Der Chirurg Joseph Lister begann 1867, zwei Jahre nach Semmelweis Tod, systematisch Operationswunden, Instrumente und Verbände mit Carbol zu desinfizieren. Auf die Idee hatten ihn die Forschungen von Louis Pasteur gebracht. Der hatte die, bis dahin geltende, Lehrmeinung widerlegen können, es handele sich bei Fäulnis um einen rein chemischen Prozess und die Rolle der Bakterien aufgezeigt. In dieser Zeit wurde die Bakteriologie „erfunden“ und die Erkenntnis setzte sich durch, dass auch Krankheiten von Mikroorganismen verursacht werden konnten. Doch trotzdem dauerte es weitere 12 Jahre, bis auch Listers Entdeckung von anderen Chirurgen aufgenommen wurde.  Erst die Asepsis Listers senkte die Sterblichkeit nach Operationen von 30% auf 1%. Damit machte er aus einem Glücksspiel eine Behandlungsmethode und ermöglichte Operationen in Bereichen des Körpers, an die viele Chirurgen nur im Traum gedacht hatten.

Was würde heute passieren, käme ein Semmelweis daher und stellte steile Thesen auf, die aktuellen Lehrmeinungen widersprächen? Dann wäre die Frage, ob er den von ihm behaupteten Effekt belegen kann und ob dieser reproduzierbar ist. Dann fehlt nur noch, die neue Erkenntnis zu verbreiten.

An dieser Stelle kann es, in der Tat, auch heute noch hapern. So wurde das Magengeschwür, von dem man noch vor wenigen Jahren dachte, es sei eine hauptsächlich psychosomatische Erkrankung auf die Infektion mit einem Bakterium zurückgeführt: Helicobacter pylori. Dafür bekamen die Entdecker John Warren und  Billy Marshall einen Nobelpreis. Eigentlich waren sie jedoch gar nicht die Entdecker, denn ein griechischer Hausarzt hatte bereits Jahrzehnte vorher herausgefunden, dass beim Magengeschwür eine Infektion eine Rolle spielt. Er konnte jedoch den Erreger nicht nachweisen. Und so wurden seine Erkenntnisse lange ignoriert und das von ihm erfundene Medikament nicht zugelassen.

An dieser Stelle fällt vielleicht der Unterschied zu vielen alternativmedizinischen Methoden ins Auge. Beide Methoden, sowohl die Hygiene für Hände und Instrumente, als auch die Behandlung des Magengeschwürs mit Antibiotika wurden recht schnell aufgegriffen und ihre Wirksamkeit in großen Studien belegt. In beiden Fällen gibt es (zusätzlich!) ein schlüssiges Konzept. Ein schlüssiges oder mögliches Konzept ist weder eine notwendige, noch ein hinreichende Basis für eine Therapie. Ein unmögliches Konzept sollte jedoch ein hinreichendes Ausschlusskriterium sein. In der Alternativmedizin gibt es oft kein wissenschaftlich schlüssiges, nicht selten ein wissenschaftlich unmögliches Konzept, keine Beweise und keine positiven Studien. Trotzdem wendet ein Großteil der Menschen die eine oder andere dieser Methoden an. Inklusive merdeister übrigens, aber das ist sein kleines, schmutziges Geheimnis.

Werden alternativmedizinische Methoden also unterdrückt, so wie Semmelweis‘ Erkenntnisse vor über 150 Jahren?

In den USA hat das Nationale Zentrum für Komplementär- und Alternativmedizin (NCCAM) mehr als 600 000 Dollar ausgegeben, um herauszufinden, ob man Menschen mit AIDS gesundbeten kann. Doch auch bei anderen Krankheiten heilt beten nicht. Auch sind Einläufe mit Kaffee keine neue Therapie gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs. 400 000 Dollar ist diese Erkenntnis wert. Wäre Semmelweis nicht wahnsinnig geworden, weil niemand auf ihn hörte und darum Menschen starben, dieses Wissen hätte dafür gesorgt. Jedes Jahr verforscht die NCCAM 125 000 000 Dollar.

Semmelweis bleibt also Retter der Mütter, die Alternativmedizin muss ohne ihn auskommen, denn die Geschichte der Medizin ist voll mit Menschen, die gegen das medizinische Establishment ankämpfen, die Einen mit guten, die Anderen mit schlechten Ideen. Man könnte seinen Titel jedoch erweitern, so schrieb der Arzt und Freund Semmelweis, Alois Bednar 1850:

„Die Sepsis des Blutes (Anm.: Blutvergiftung) des Neugeborenen ist jetzt eine große Seltenheit geworden, welches wir der folgenreichen und der größten Beachtung würdigen Entdeckung des Dr. Semmelweis zu verdanken haben.“

Bednar hatte nach Semmelweis Entdeckungen die Händedesinfektion vor der Nabelversorgung Neugeborener eingeführt und damit viele vor einem frühen Tod bewahrt.