Im Zweifel

Der Satz kommt wie aus dem Nichts:

„Wir sind auch in homöopathischer Behandlung, seit 6 Monaten, wegen der Leserechtschreibschwäche.“

Mein Puls erhöht sich einen ganz klein bisschen, ich nicke und denke: „Nichts anmerken lassen.“

„Hat es geholfen?“, frage ich.

„Naja, er bekommt auch Nachhilfe. Es wird schon langsam besser.“

Ich nicke wieder, notiere „Homöopathie gegen LRS“ und nehme den roten Faden wieder auf.

Nachdem ich mehrere Jahre zum online-gestählten Evidenztaliban geworden war, muss ich mich nun mit der Wirklichkeit und ihren Grautönen auseinandersetzen. Das war zu erwarten, es war auch klar, dass ich die beim Bloggen vertretene Linie nur eingeschränkt im klinischen Alltag würde verfolgen können.

Und so beschränke ich mich aufs Fragen, kommentiere, wenn überhaupt, sehr sparsam und vorsichtig. Wenn mich jemand fragt, was ich von Globuli oder Zappelin halte, sage ich das. Oder ich würde es sagen, denn bisher hat niemand gefragt.

Ich frage mich aber häufig. Zum Beispiel, wie die Lebenskraft, die wird ja bei der Homöopathie eigentlich behandelt, Einfluss auf die Fähigkeit von Lesen und Rechtschreibung nimmt.

Weniger zurückhaltend bin ich beim Thema Impfen. Die Frage nach dem Impfstatus gehört zur Routine und in den meisten Fällen ist die Antwort: „Alle empfohlenen Impfungen“ oder so etwas in der Art. Impfmüdigkeit in relevanter Größenordnung ist mir bisher verborgen geblieben. Wenn die Antwort: „Nein“ lautet, frage ich nach und versuche auf Gründe einzugehen, die die Eltern dazu bewogen haben, einige oder alle Impfungen nicht geben zu lassen. Die Gründe konnte ich bisher immer durch gute Evidenz widerlegen. Allerdings habe ich bisher noch niemanden überzeugen können, seine Ansicht zu ändern. Wäre ja noch schöner.

Dabei sind mir zwei Phänomene aufgefallen. Zum einen, dass Eltern sich gar nicht mehr an die Gründe oder die Quellen, aus denen sie von den Gründen, die angeblich gegen Impfungen sprechen, erfahren haben, erinnern. Es ist nur das Gefühl geblieben, Impfungen seien schlecht. Dagegen kann man nicht informieren. Auch putzig ist es, wenn Eltern sich an die Argumente erinnern, sie vorbringen, ich sie widerlege, die Eltern erstaunt sind, beim nächsten mal wiederkommen und etwas sagen wie: „Sie haben zwar Recht, mit dem, was sie sagen, ich denke aber trotzdem Impfungen sind nicht gut.“

Dem kann ich mich jeweils nur beugen. Zumindest bis die Politik der Einrichtung in der ich arbeite sich dahingehend ändert, dass ungeimpfte Kinder nicht behandelt werden. Eine Praxis der einige Kinderärzte folgen, um nicht Säuglinge im Wartezimmer, die noch zu jung sind, um geimpft zu werden, zu gefährden.

KollegInnen, die von meiner Leidenschaft für Pseudomedizin wissen, sind in der Regel offen dafür. Auch wenn sie dem einen oder anderen Verfahren selbst zugeneigt sind. Einige Male wurde ich gefragt: „Kennst Du das?“ mit dem Anliegen eine Bewertung abzugeben.

Meine Ansichten haben sich nicht verändert seit ich arbeite, eher im Gegenteil, ich bin noch sicherer in meiner Ablehnung pseudomedizinischer Verfahren im Gesundheitssystem. Allerdings ist das etwas, was, wie gesagt, meine Patienten bzw. deren Eltern nicht erfahren, wenn sie nicht fragen. Und sie fragen nicht.

Wieso auch, immerhin hat ihnen eine KollegIn gesagt, dieser oder jener Globuli seit der Hit. Oder sie haben eine Werbung gesehen, in der ein Globulihersteller behauptet Mittel X sei eine sanfte Alternative. Oder eine HeilpraktikerIn hat davon abgeraten das Medikament zu nehmen. Das sind alles vertrauenswürdige Quellen, ein Hersteller von „Naturheilkunde“ würde nicht lügen! Widerspreche ich diesen Quellen, besteht die Gefahr, die Eltern zu zwingen entweder mir ODER der anderen Informationsquelle zu vertrauen. Und ohne Vertrauen kann ich nicht arbeiten. Aber gleich danach kommen die Tabletten….viele, viele Tabletten.

 

7 Gedanken zu “Im Zweifel

  1. Es verläuft – und ich spreche aus 30jähriger Erfahrung – immer nach dem selben Muster:
    Man geht zum Arzt und sicherheitshalber auch noch zum Heilpraktiker, oder umgekehrt.
    Wenn es dann besser wird, ist es den weisen und sanften Methoden des Heilpraktikers zu verdanken, wird es aber schlechter, erfährt der Patient vom Heilpraktiker, dass gegen die Schäden, die die brutal agierende „Schulmedizin“ angerichtet hat, selbst die beste Naturmedizin leider machtlos sei und zu spät komme.
    Glücklicherweise ist gut und böse leicht zu erkennen: hier der profitgierige Arzt, dort der selbstlose Heilpraktiker (der schon für den Erstkontakt doppelt so viel nimmt, wie der Arzt im ganzen Quartal bekommt).
    Und ich bin Arzt, Leute, da kann sich ja jeder seinen Reim drauf machen….

    Dr. med. Peter Pommer

    1. Drüben, auf Freitag.de wurde als Argument gegen meine Sicht vorgebracht, dass ja klar, sei, dass ich so argumentiere, immerhin sei ich Nutznießer des kapitalistischen Systems (ich paraphrasiere). Dabei gilt das für jeden Anbieter welcher Art von Leistung. Das witzige ist, dass ich mit der richtigen Masche mittelfristig wohl besser verdienen könnte als jetzt.

      Es ist alles eine Frage des Marketings. Vielleicht ist das auch der Schlüssel für das Zurückdrängen pseudomedizinischer Verfahren: Besseres Marketing. Ich bleibe dann mal bei meinen Negativkampagnen ;-)

  2. Sehr geehrter Herr Pommer, lieber merdeister,
    vielen Dank für diese Beiträge und Gedanken, sie sprechen mit aus der Seele. Genau das sind meine Erfahrungen, das, was mich verzweifeln lässt.

    Es ist ein Trost, dass es auch solche Menschen wie Euch gibt,

    Grüße

    volpe

    1. Lieber Volpe,

      danke gleichfalls.

      Meine Vermutung (oder Hoffnung, manchmal verschwimmt der Unterschied) ist, dass es noch viele KollegInnen gibt, die die Dinge ähnlich sehen, die jedoch aus diversen Gründen nicht dagegen aufbegehren. Vor allem bei den Berufsverbänden wäre hier mehr Druck notwendig.

      Grüße
      merde

  3. Das erinnert mich an eine Geschichte als ich als Jugendlicher zum Hausarzt ging. Das kredo von vielen Personen ist ja immer Natürlichkeit ist gut, Chemie ist schlecht, etc.. Dies hatte ich erst einmal ungefragt übernommen.
    So fragte ich meinen Arzt, ob es für meine Beschwerden, die ich habe auch was natürliches gab.
    Da antworte mein Arzt: Es ist doch besser, wenn du den Stoff, den du brauchst in richtiger Konzentration, Menge und Reinheit bekommst, die man mit chemischen Herstellungmethoden oft deutlich besser hinbekommt. Und selbst wenn, dann ist es noch immer der Selbe Stoff.

    Ich hatte einen Moment überlegt, fand das schlüssig und habe mich dann für das „unnatürlich“ Medikament entschieden.

    1. Ich finde das auch schlüssig. Die Erklärung macht aber nicht auf jeden Eindruck. Bzw. „Aber trotzdem“. Egal, Dein Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, sich die Zeit zum erklären zu nehmen.

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