Die Wiederentdeckung der Tendenz (1)

Medienkritik – „Lügenpresse“ ist nicht nur ein ideologisches Schlagwort. Gleiches sollte für „Fake News“ gelten. Notizen eines Lesers

Mit ziemlicher Verwunderung nehme ich seit Jahren zur Kenntnis, wie Medien sich selbst bespiegeln. Seit „Öffentlichkeit 2.0“ ist kaum ein Tag vergangen, an dem sie, deren Verantwortliche oder die darin Tätigen nicht alle unsere ungeteilte Aufmerksamkeit beansprucht hätten: Anpreisung Neuer Technologien, Modelle zur Bezahlung rauf und runter, von Leistungsschutz bis zur Misere des online-Journalismus, Auflagenschwund und deswegen Gefahr für die Demokratie. Schon einmal habe ich das notiert und wiederhole mich: Hätten in den 1970ern alle nicht beim Staat angenommenen Lehramtsabsolventen mit ihren Taxis die Verkehrswege im Eigeninteresse so blockiert wie die Generation „irgendwas-mit-Medien“ die Kommunikationskanäle, wäre die Kavallerie ausgerückt.

Ein Teil der überaus griffigen „Lügenpresse“-Parole scheint mir dieser ziemlichen Anmaßung geschuldet, die manchmal hart an der Grenze zur Egozentrik schrammt. Nagelprobe des durchschnittlichen Lesers: Wie sollen „Medien“ angemessen etwa soziale Missstände erfassen, wenn sie die im eigenen Beritt nicht in den Griff bekommen, die eigene Mehrklassen-Gesellschaft schamlos on- und offline pflegen?! Im Oktober 2009 schrieb Gero von Randow bitter: „Die junge Wissenschaftlerin, die sich über Drittmittel finanzieren muss, die jeweils nur für sechs Monate garantiert sind – sie hätte gern ein Kind, aber ihr Mann arbeitet ebenfalls prekär, unterbezahlt und 60 Stunden pro Woche; er ist Onlinejournalist“.

Ein anderer Teil der Anwürfe, der seine Herkunft von „Mainstream“-Medien ableitet, dürfte ebenfalls nicht ohne ungewollte, aber aktive Hilfe der Gescholtenen entstanden sein. Dem online-Hype folgte die AusErnüchterung bei Auflage und Gewinn, mit ihnen der Abbau von Überkapazitäten sowie die Einführung spezifischer Bezahlmodelle für die digitalisierten Versionen. Was an Inhalten im Netz frei zugänglich geblieben ist, ist überwiegend, mit einem Wort ausgedrückt: Einheitsbrei.

Trotz unterschiedlicher grafischer Aufmachungen ist der noch gratis erreichbare, relevante Informationsgehalt auf Schnipsel zusammengeschnurrt. Aufgehübschte Agenturmeldungen, Panorama/Vermischtes, Sport und das unvermeidliche Zugunglück in Indien sind die Regel. Die weitestgehende Ununterscheidbarkeit online (es lohnt sich derzeit eher, News-Ticker aufzurufen) zuzüglich online-Lesegewohnheiten ergeben: Blattlinien sind so nicht mehr erkennbar, auch die (für wohl als alphabetisch minderbemittelt gehaltene Onliner) einfache (An)Sprache verstärkt den Eindruck der Einheitlichkeit über URL-Grenzen hinweg. Das ist nicht neu. Schon in den 1980er Jahren wurde das für den Print als „Infotainment“ und „Häppchen-Journalismus“ bezeichnet mit dem Magazin Focus an der Spitze, das genau das Prinzip per Tomorrow AG beispielgebend in die digitale Zeit übertragen hat.

Auch hier wiederhole ich mich: Dieses Geschäft ist eines der Dealer, die online die User angefixt, dann den Stoff verknappt haben und sich nun wundern, dass härtere Sachen aus dunkleren Ecken konsumiert werden, weil sie leicht zu haben sind. Zu dem Themenkomplex empfehle ich, den Verleger Jakob Augstein im Interview mit der Süddeutschen Zeitung mit ein klein wenig Schadenfreude zu lesen: „Ich suche als Journalist und als Verleger nach Wegen, unseren Beruf in eine neue Zeit zu retten“.

Dazu gehört natürlich der dritte, der große Brocken, der behauptet, Medien würden schlicht lügen. Und da beginnt für mich der Ärger so richtig. Denn darauf lassen sich ebendiese Medien ein, statt selbstbewusst die Meinungskante zu zeigen, die ihr Metier wäre.

Den Erweis zu erbringen, nicht zu lügen, ist denklogisch wie faktisch unmöglich: Die auch nur hypothetische Nichtexistenz der Lüge wird bereits mit einer einzigen belegten Falschmeldung widerlegt. Ähnlich verhält es sich, wenn z.B. die Netzpiloten, eine reine digitale Publikation, ziemlich naiv mit „Vertrauen gegen Fake News“ werben (hier und hier). Das ist, was auch schon bisher im Pressekodex unter „Wahrhaftigkeit“ und „Sorgfalt“ steht und selbstverständlich auch online gelten sollte. Mit solchen Vorstellungen wird allerdings erst recht die Auffassung bestätigt und genährt, dass es damit nicht weit her sein kann.

Man kann es überdies immer wieder bei einschlägigen Watchdogs wie BILDblog oder Übermedien (zuletzt: „‚Fake News‘ und der blinde Fleck der Medien“) nachlesen. Vor allem im Boulevard gibt es eine geradezu unheimliche Tendenz, Phantasieprodukte als Fakten zu verkaufen, etwaige Kosten für Widerruf, Schmerzensgeld und Unterlassungsprozesse sind dann bereits eingepreist. Noch unheimlicher ist: Das wird gekauft, konsumiert und so debattiert, dass sich daraus wie in der Causa Wulff eine Kampagne entwickeln lässt. Der Befund, den der Kommunikationswissenschaftler Ralf Hohlfeld 2003 erhoben hat („Vom Informations- zum Pseudojournalismus“, Communicatio Socialis, 36. Jg., Heft 3, S. 223-243), gilt mehr denn je: „Journalismus- und Medientrends wie die Fiktionalisierung der Fakten und die Faktisierung der Fiktionen irritieren die Journalistik nachhaltig.“

(Ende Teil 1)

(Teil 1)-(Teil 2)-(Teil 3)-(Teil 4)-(Teil 5)

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Beitragsbild: Graphic on fake news websites made by VOA News; Autor: voanews.com
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Graphic_on_Fake_News_by_VOA.jpg
Lizenz: public domain, gemeinfrei

4 Gedanken zu “Die Wiederentdeckung der Tendenz (1)

  1. Auf die Frage, ‚was der Junge so macht‘, antwortete meine Mutter tatsächlich: „Irgendwas mit Büchern.“ In Zeiten, wo auch Kinder von Fach- und Stahlarbeitern und Hausfrauen, die seit der Geburt einer Familie ihren Beruf aufgegeben haben als sozialdemokratisch-gewerkschaftliches Idyll studieren mußten (!), war das ein Fortschritt. Freilich, Bücher werden zu Medien, konkrete Bildung wird zur beliebigen Unterhaltungsindustrie, beruflich. Die Medialisierung des etwa soziologischen Studiums als revolutionäre Errungenschaft wurde sofort sozialdemokratisiert: wurde zum Mitmachen des angehobenen Proletariats domestiziert. War ein Muß der kapitalgesellschaftlichen Entwicklung, nicht mehr. Bildung und kritische Medien heute fördern das Mitmachen oder sind auf einem Niveau, das gerade mal shoppen kann (Amazon) oder voll fehlerhafte Kommentare raushaut (Facebook). Gewollte Nicht-Bildung, es soll so sein. Und die Presse macht mit, als Print oder online, oft höhnisch. – – – Meine Mutter wollte Abitur in Bremen machen. Mein Opa hat´s ihr verboten. Heute hätte das erlaubt. Es ist aber null Unterschied aus der Sicht eines jeden Menschen, der um eine Klassengesellschaft weiß. Meine Mutter ist vor langer Zeit gestorben. Ihre Träume sind weiterhin Bestandteil des Klassenkampfes.

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