Steiners Schatten über Kindergräbern

In der Erziehungskunst, der Anthrozeitschrift für eine romantische Sicht auf rückwärtsgewandte pädagogische Konzepte, durfte sich eine „Schauspielerin und Mutter“ über die Masernerkrankung ihrer Kinder auslassen.Die Masernerkrankung verglich sie dabei mit einer Bergbesteigung und hatte selbst am Krankenhausaufenthalt ihrer Kinder Freude (nette Schwestern, dankbare Ärzte: endlich Masern!). Die Erkrankung ihrer Kinder sah die Mutter im Nachhinein als Auszeit. Eine Auszeit von einer Welt, auf die sie schimpft, weil sie so schnell und so anstrengend ist. Eine Welt, deren Zusammenhänge sie, das zeigt sich an ihrem Text, in großen Teilen nicht versteht. Und wenn Menschen in einem See esoterischer Ansichten krampfhaft Dunning-Krugern, um nicht zu ertrinken, kann Rudolf Steiner nicht weit sein.

Masern sind eine Infektionserkrankungen. Niemand braucht die Masern. Niemandem nützen die Masern. Die Anthroposophen sind jedoch seit ihren Gründertagen verzückt von Kindern, die das Pech haben, an Masern zu erkranken. Sie sammeln ihre Anekdoten, um daran „nachzuweisen“: Alles nicht so schlimm. Masern zu haben, ist wie einen Berg zu besteigen: tierisch anstrengend aber am Ende wird man mit einem tollen Blick belohnt.

Unterschlagen werden plötzliche Wetterumschwünge, Steinschläge und Lawinen. Und natürlich Wolken, die den „schönen Blick“ verhageln. All das passt nicht ins anthroposophische Narrativ, also wird es ignoriert. Die durch Anthroposophie gewonnene „Freiheit“ scheint sich auf selektive Wahrnehmung zu beschränken.

Früher erkrankte fast jedes Kind an Masern. Viele Menschen kennen Geschichten von „Früher“. Geschichten in den ein Kind Masern unbeschadet überstanden hat. „Früher“ war es „normal“ Masern zu haben, „Komplikationen waren nicht zu erwarten“. Unterschlagen werden die Geschichte von Kindern, die Masern nicht unbeschadet überstanden haben. Wobei „unterschlagen“ Bösartigkeit impliziert. Wahrscheinlich nimmt sich der Anthroposoph seine Freiheit der selektiven Wahrnehmung und die Geschichten dieser Kinder werden einfach vergessen. Vielleicht weil sie von den Masern und ihren Folgen so schwer geschädigt waren, dass sie fortan nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilgenommen. Oder weil sie tot waren. Tote Kinder spielen nicht. Tote Kinder erleben nichts, von dem erzählt werden könnte. Die Geschichten toter Kinder enden, bevor sie zu Ende sind, niemand erzählt gerne solche Geschichten. Also vergisst man sie.

Anthroposophen gehen Geschichten von toten Kinder am Arsch vorbei. Wobei, das ist vielleicht etwas zu hart ausgedrückt. Der Tod von Kindern in diesem Leben geht Anthroposophen am Arsch vorbei. Sie haben ja ein neues, ein nächstes Leben. In diesem war ihr Tod vorherbestimmt. Wenn es in diesem Leben mit den Masern nicht klappt dann eben im nächsten.

Anschaulich ist dieser, der Anthroposophie innewohnende Zynismus von Steiner vorgetragen worden. Als er von einem Unfall berichtet hatte, bei dem ein sieben Jahre alter Junge ums Leben kam, endete er:

„Vor der spiri­tuellen Anschauung ist das ein vollständiger Unsinn. Denn das, was da vorliegt, ist das Karma des Kindes, und dieses Karma des Kindes lenkte all die einzelnen Verhältnisse. Es hat auch den Möbelwagen dorthin gelenkt gerade zu der Stunde, wo das Kind den Tod brauchte, weil das Karma des Kindes es so wollte. Das Karma des Kindes war abgelaufen. Wir haben es hier zu tun mit der Notwendigkeit, Ursache und Wirkung wirklich umzukehren.”

So gesehen ist eine Impfung natürlich reine Ressourcenverschwendung. Wenn es in diesem Leben nicht klappt, bleiben folgende Reinkarnationen. It’s Karma, Bitch! Leider ignorieren die meisten Menschen diesen inhumanen Kern der anthroposophischen Glaubensgemeinschaft und erfreuen sich an bunten Tüchern und Produkten in Pastellfarben.

Erziehungskunst? Go Fuck Yourself!

19 Gedanken zu “Steiners Schatten über Kindergräbern

  1. Es ist mir völlig unverständlich, dass man Leute mit solchen Überzeugungen ungebremst auf die Menschheit loslässt und ihnen sogar Kinder zur Erziehung anvertraut. Das ist doch irgendwo zwischen krankhaft und kriminell!

  2. Das Grundmotiv „Abgabe von Verantwortung auf dem Rücken des Kindes“ wird von der Autorin wenigstens konsequent durchgehalten. Denn das Kind wollte es ja so,
    was sich dergestalt liest:

    „Und ich werde nicht vergessen, wie M(…). ganz oben auf dem Gipfel des Fiebers aus tiefstem Herzen zu mir sagte: »Mama! Wenn ich mal Kinder habe, dürfen sie auch die Masern bekommen!« Und ich hoffe sehr, dass sie und ihre Kinder diese Freiheit haben werden.“

    Ich bin gerade ein wenig ungehalten. Andere Menschen machen Mutter-Kind-Kuren, die Autorin verschafft sich eine Auszeit, indem sie russisches Roulette mit der Gesundheit ihres Kindes spielt.

  3. Nun, bei dem Schreibstil gehe ich mal davon aus, dass Sie heftige Reaktionen wir von meinem „Vorredner“ erwartet haben :-) Provokant, bisschen zu alllgemein gehalten.

    Aber in der Sache nicht verkehrt. Das Zitat von Steiner ist ja verifiziert. Und um so etwas zu sagen, kann man einfach nicht mehr alle Latten am Zaun haben. Und so eine – auf den ersten Blick banale Aussage – lässt mich halt auch andere Thesen hinterfragen.

  4. Wieder mal auf den Punkt gebracht! Danke. Zu dieser Mutter möchte ich noch sagen, dass man gut die Egozentrik erkennen kann, mit der sie agiert. Es geht nie um das Kind, es geht um die Zuwendung, die sie selbst erhält von medizinischen Personal.
    Diese ganze Eso-Clique nutzt die Unterlassung von wirksamen Maßnahmen für ein von Gesellschaft, Politik und Kostenträgern toleriertes Münchhausen-by-proxy.

    1. Kleine Klugscheisseinheit:
      Ob „Münchhausen-by-proxy“ wirklich existiert ist fraglich. Für Handlungen die Menschen unternehmen,um ihrem Kind mit Absicht zu schaden gibt es einen Begriff: Kindesmisshandlung. MbP wäre eine Erkrankung, betroffene brauchten Therapie. (Ich möchte mich nicht aus dem Fenster lehnen mit der Bewertung ob es sich bei dem was die Frau gemacht hat um Kindesmisshandlung handelt. Das ist eine Frage für Juristen)

      1. Schaue ja leider nur sehr selten rein und noch seltener schreibe ich, aber hier muss ich nochmal ergänzen, auch wenn es lange her ist. Formal sind es ja meist die behandelnden Personen, die das Kind verletzen. Juristisch ist das sicher eine Art von Kindesmisshandlung, da brauch man nicht drumrumreden. Dass sich dahinter bei -in diesem Fall- der Mutter noch eine Psychopathologie befindet, die man behandeln sollte, halte ich für selbstverständlich. Die Problematik ist mehrschichtig und m.E. nicht auf ein „Kindesmisshandlung – Wegsperren“ zu reduzieren.
        Nennen wir es dann vielleicht einvernehmlich „sekundärer Krankheitsgewinn-by-proxy“ ;-)

  5. aus dem anthroposophischen newsletter „inmedia“, Laura Krautkrämer schreibt:

    „QUATSCH DER WOCHE
    freitag.de, 21.09.2015
    STEINERS SCHATTEN ÜBER KINDERGRÄBERN

    Geht’s noch ein bisschen melodramatischer? Ein im Netz vieldiskutierter Blog-Beitrag von Freitag-Community-Mitglied „merdeister“ deckt im Zusammenhang mit der Masern-Impf-Debatte auf: „Was sanft und ganzheitlich daherkommt, ist in Wahrheit brutale Auslese“! „Die Anthroposophen“ seien „seit ihren Gründertagen verzückt von Kindern, die das Pech haben, an Masern zu erkranken“ und verdrängten völlig die damit verbundenen Risiken.
    >> zum Artikel https://www.freitag.de/autoren/merdeister/steiners-schatten-ueber-kindergraebern

    1. „BOMBE DRAUF!!! …“

      ich hab ja immer gedacht, vielleicht könnte mal jemand Obama einen Tipp geben …:

      “(…) So daß also ein Schwarzer in Afrika ein Mensch ist, der möglichst viel Wärme und Licht vom Weltenraum aufsaugt und in sich verarbeitet. Dadurch, daß er das tut, wirken über den ganzen Menschen hin die Kräfte des Weltenalls so. (Es wird gezeichnet.) Überall nimmt er Licht und Wärme auf, überall. Das verarbeitet er in sich selber. Da muß etwas da sein, was ihm hilft bei diesem Verarbeiten. Nun, sehen Sie, das, was ihm da hilft beim Verarbeiten, das ist namentlich sein Hinterhirn. Beim Neger ist daher das Hinterhirn besonders ausgebildet. Das geht durch das Rückenmark. Und das kann alles das, was da im Menschen ist an Licht und Wärme, verarbeiten. Daher ist beim Neger namentlich alles das, was mit dem Körper und mit dem Stoffwechsel zusammen hängt, lebhaft ausgebildet. Er hat, wie man sagt, ein starkes Triebleben, Instinktleben. Der Neger hat also ein starkes Triebleben. Und weil er eigentlich das Sonnige, Licht und Wärme, da an der Körperoberfläche in seiner Haut hat, geht sein ganzer Stoffwechsel so vor sich, wie wenn in seinem Innern von der Sonne selber gekocht würde. Daher kommt sein Triebleben. Im Neger wird da drinnen fortwährend richtig gekocht, und dasjenige, was dieses Feuer schürt, das ist das Hinterhirn. (…)”

      Rudolf Steiner

      mehr hier: Rudolf Steiners „Töne wie aus einer undichten Gummizelle!“, http://hpd.de/artikel/10216

    2. Eine Bombe gegen eine Idee einzusetzen ist in der Regel sehr ineffektiv. Die Kollateralschäden überwiegen meist. Die Ausrufer sprechen sich für einen Wettbewerb der Ideen aus, das ist kurzfristig nicht so befriedigend, wie ein großer Knall, langfristig aber der richtige Weg.

  6. Freiheit beginnt da, wo die Angst endet. Dass das Karma eines Kindes nach dem Tod ruft, finde auch ich eine recht dumpfe Aussage. Aber vielleicht spricht daraus auch eine Gelassenheit dem Tod gegenüber, der es in unserer sich ständig selbst optimierenden Gesellschaft mangelt. Und wenn ich es mir aussuchen könnte, was ich meinem Kind mit auf den Lebensweg gebe, dann fände ich eine Furchtlosigkeit dem Schicksal, Karma und Tode gegenüber wesentlich wichtiger zum erfüllten Leben als zum Beispiel Mathematik.

      1. Keineswegs. Barberei und Verrohung beinhalten das Fehlen von Mitgefühl. Steht man dem Tod, dem eigenen wie dem der anderen, gelassen gegenüber, heißt das erst mal, das Schicksal anzunehmen und nicht dagegen anzukämpfen. Man kann trotzdem mitfühlend sein.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.