Kopf einer Statue

Aurachirurgen und Geistheiler retten das Gesundheitssystem

Vor einigen Tagen kam auf arte ein vollkommen unkritischer, um nicht zu sagen suggestiver, Bericht über den Aurachirurgen Gerhard Klügl. Herr Klügl nimmt chriurgische Instrumente und fuchtelt damit wenige Zentimeter über der Hautoberfläche von Menschen herum, die hilfesuchend zu ihm gekommen sind. Mithilfe des Fuchtelns und Ruckelns schneidet er z.B. alte Zöpfe ab oder stellt Schrauben nach, in der Aura. Oder er piekt in einem Anatomiebuch oder Modell herum und fragt, ob sein Gegenüber das merke. Das Gegenüber merkt es in der Regel, es werde warm, drücke oder sei „irgendwie (viel) besser“. Zumindest alle in dieser Dokumentation intervieweten Menschen sind hochzufrieden, unter ihnen einige Ärzte, „Schulmediziner“, wie sie sich nennen, die herumschwadronieren, sie wüssten auch nicht, wie der Herr Aurachirurg Kügl das mache und das sei ja auch egal, wer heilt, habe schließlich Recht. Deine Mudda hat Recht.

Prächtig ist der Moment, wenn Herr Klügl, eine Nierenschale in der Hand, das Universum um ein Stück Schädelknochen für den vor ihm sitzenden Herren bittet, welches ankommen soll, wenn es nötig ist. Es ist nötig und so nimmt er das Knochenstück mit einem Instrument aus der Schale, um es dem Herren einzusetzen, dem das Stück Auraschädel fehlt, verursacht durch ein Trauma in einem früheren Leben, welches er noch immer mit sich herumschleppt. Oder eben nicht herumschleppt, es fehlt ja ein Stück. Herr Klügl, ihr Patient.

Wirklich fahrlässig war im übrigen der Umgang mit den Instrumenten und Händen; weder Handschuhe noch Sterilisation oder Desinfektion wurden dort vorgenommen. Mich würde nicht wundern, wenn der eine oder andere da eine schlimme Aurainfektion davongetragen hat!

Der ganze Zauber verläuft vollkommen unblutig und firmiert unter dem Begriff „Energie-“ oder „Informationsmedizin“ und gehört zum großen Konglomerat der Komplementär- und Alternativmedizin oder, um den neuen Branchenterminus zu nutzen, „Integrativen Medizin“. Auf dem Blog der Homöopathenärzte ist eine Konferenz im Europaparlament zum Thema angekündigt. Mit ihrer Hilfe will man die Parlamentarier davon überzeugen, mit integrativer Medizin lasse sich Geld sparen im „unterfinanzierten Gesundheitssystem“. Ob dort auch über Auramedizin gesprochen werden wird? Vielleicht kann der Moderator Herr Walach ja erklären, wie man einen seriösen integrativen Mediziner von einem Unseriösen unterscheidet. Edzard Ernst ist komischerweise nicht in der Rednerliste, vielleicht hatte er keine Zeit.

Erinnert sich noch jemand an „Polly“? Polly hatte ich mal in den Fundstücken erwähnt, sie hat zum zweiten Mal Gebärmutterhalskrebs und will diesen auf „natürliche“ Weise ‚bekämpfen‘. Sie hatte bereits vor einigen Jahren eine Behandlung erdulden müssen, mit echter Medizin, welche gerade, wenn es um Krebs geht, extrem bitter ist. So ist der Impuls nachvollziehbar, einen weniger bitteren Weg zu gehen, gerade wenn die Diagnose, wie in Pollys Fall, „nicht heilbar“ lautet. Polly hat gesucht und neben veganer Ernährung, positivem Denken, Meditation, Visualisation, Kaffeeeinläufen und grünen Smoothies einen Geistheiler gefunden, wobei Wunderheiler vielleicht das bessere Wort ist (Wieder eine Frage: Wie unterscheidet man den einen vom anderen? Durch einen Geist geheilt zu werden, wäre für mich nämlich auch ein Wunder).

In Brasilien lebt „John of God„, ein  Medium, durch das 30 Heiler, Ärzte und andere Entitäten Menschen heilen. Das kann auf verschiedenen Wegen passieren. Eine echte falsche Operation, bei der durch einen wenige Zentimeter langen Hautschnitt ein Stück Unterhautfettgewebe entfernt, dem Publikum gezeigt und in eine Nierenschale mit Wasser gelegt wird, um dann den Schnitt wieder zu nähen. Fertig ist die Laube; 24h Bettruhe, dann kann man wieder gehen. Beliebt ist auch, eine Klemme mit einem Tupfer am Ende tief in der Nase habend, von John (oder Juan) betastet zu werden, der zum Ende der Prozedur die Klemme einige Male in der Nasenhöhle dreht und dem Publikum dann den blutigen Tupfer zeigt.

„Lahme gehen, Blinde sehen.“

Es gibt aber auch spirituelle oder falsche falsche Operationen, an denen mehrere Menschen gleichzeitig teilnehmen können (bis zu sechs) und jede Person von einer Entität behandelt wird, die wiederum bis zu 9 Operationen gleichzeitig in einer Person durchführen kann. Und da sage noch einer, in Krankenhäusern würde gearbeitet wie am Fließband. Polly hat so eine Operation bekommen und sagte danach, sie fühle sich wie nach einer echten OP. Sie meint eine echte echte OP, nicht eine falsche echte.

Polly war nach Brasilien gefahren, weil die Lymphknoten, welche die Rückkehr ihres Krebs angezeigt hatten, mittlerweile gut am Hals sichtbar waren und begonnen hatten, Strukturen darin einzuengen. So grobstoffliches wie Atemwege und Speiseröhre. Feinstofflich war alles TippTopp. Nach der OP sei ihre Stimme auch schon besser geworden (die Lymphknoten drückten vermutlich auf den Nerv, der wichtige Muskeln der Stimmbänder versorgt). Das war Anfang des Jahres, als John of God mit einer Mischung aus christlicher Mystik und New Age Gedöns Polly geheilt hat.

Bis zum Mai. Polly berichtet in ihrem letzten Blog von Anfang Juli, warum sie sich so lange nicht gemeldet hat.

However as the lumps continued to grow fairly aggressively, it became increasingly difficult for me to eat, breathe and at times, even drink water.

Weil die Knoten weiter ziemlich aggressiv wuchsen, wurde es immer schwerer für mich zu essen, atmen und manchmal sogar Wasser zu trinken.

Da Polly Ende Mai Gewicht verlor, willigte sie in eine Bestrahlung ein, welche die Lymphknoten verkleinerte, allerdings auch sehr belastend war. Damit leider nicht genug.

I was suffering with extreme exhaustion and was left bedbound for over a month, unable to move unaided. My upper torso suddenly became extremely heavy and my breathing very shallow.

Ich litt unter extremer Erschöpfung und war über einen Monat ans Bett gefesselt, unfähig mich selbständig zu bewegen. Plötzlich wurde mein Brustkorb extrem schwer und meine Atmung sehr flach.

Im Krankenhaus wurden dann drei Liter Flüssigkeit aus der Pleurahöhle abgelassen, die ihre Lunge eingeengt hatten. Das Ganze ist insofern tragisch, weil sie in den Videos, direkt nach der falschen falschen OP bei John of God, berichtet hat, wie sie die Entiäten in ihrem Nacken und Brustbereich arbeiten spüre und da vermutlich etwas ganz anderes gearbeitet hat.

Es ist grausam, dass die Medizin einer 30 Jahre jungen Frau nicht mehr zu bieten hat, als die Symptome zu lindern, die sie auf ihrem Weg in den Tod erwarten. Noch grausamer ist jedoch, dass sie sich bis zu dessen Ende an jedem Strohalm klammert, den ihr irgendein Scharlatan hinhält, statt Dinge zu machen, die sie gerne macht. In Brüssel  wird dann bald erklärt wie man dabei auch noch Geld sparen kann. Palliativmedizin ist nämlich sauteuer.

9 Gedanken zu “Aurachirurgen und Geistheiler retten das Gesundheitssystem

  1. …dem ist leider wenig hinzuzufügen, ausser vielleicht: Lahme sehen, Blinde gehen, Dumme zahlen, Skrupellose verdienen und die Politiker, die Derartiges Erstattungsfähig machen wollen, gehen in ihrer demokratischen Denkweise vielleicht davon, dass die Mehrheit, die sie wählen soll, eben dumm ist? Gar nicht blöd jedenfalls, andere für die eigene Dummheit zahlen lassen zu wollen…

    Auch meine Patienten in 25 Jahren sind in ihrer Not, wo wissenschaftliche Medizin nicht mehr helfen konnte, oft Scharlatanen zum Opfer gefallen – aber im selben Zeitrahmen gestorben wie die, die ihr Geld lieber der Familie hinterlassen haben.
    Bei den Krebserkrankungen fliegt der Schwindel auf – wird aber in der Regel so erklärt, dass nach der schlimmen schulmedizinischen Therapie wie Chemotherapie und Bestrahlung halt leider die alternative Medizin auch nicht mehr helfen können – schuld ist immer die Schulmedizin.
    Ausnahmen sind nur die Fälle, in denen der Wunderheiler die Krebsdiagnose selbst stellt („wie konnten die Ärzte DAS nur übersehen?!?) und auch gleich erfolgreich behandelt – da kann man natürlich dann hinterher nichts mehr nachweisen. Ausser der Lücke auf dem Bankkonto….

    1. Ja, die Diagnosen mit denen da um sich geworfen wird sind ein interessantes Phänomen, vor allem weil mich interessiert, wie viele Anekdoten von Wundern oder erfolgreichen pseudomedizinischen Behandlungen einfach auf einer falschen Diagnose beruhen…

  2. Ich komme aus dem Kopfschütteln zwar nicht mehr raus, aber letztendlich komme ich auch nicht umhin, die Menschen für ihre Leichtgläubigkeit zu bedauern. Schlimmer noch, sie wehren sich mit Händen und Füssen gegen die Vernunft (auch wenn ich durchaus verstehe, dass man sich als Todgeweihte(r) an jeden Strohhalm klammert). Schlimm ist jedenfalls, dass es keinen seriösen Staat mehr gibt, der eine klare wissenschaftliche Linie fährt und an den sich Unsichere orientieren können. Und manchmal frage ich mich, wie es damals immer wieder der preußische Staat tat, ob zuviel Eigenverantwortung nicht doch eher schädlich für das gemeine Volk ist…

    1. Ob das wirklich Leichtgläubigkeit ist? Ich bin mir da nicht sicher, viele Menschen berichten zumindest, vor einer „Behandlung“ skeptisch gewesen zu sein. Da werden sicher auch andere Mechanismen eine Rolle spielen, die den meisten von uns innewohnen.

  3. Das Gute am web ist ja bekanntlich, dass jeder irgend etwas schreiben kann, auch seine meistens natürlich unvoreingenomme Meinung äussern kann….und alle die ihn kommentieren natülrlch glauben, dass DAS was er schreibt stimmt ! Oh Mann /Frau, diese unkritische Herangehensweise an diese blogs …keiner hats gesehen aber Kommentieren…und beim Kommentieren noch schnell die Daten von facebook und Twitter der anderen abgreifen…unverantwortlich !

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