LMHI – Auf den Zahn gefühlt

Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, durfte oder musste – das weiß nur er selbst – ein Grußwort für den 72. Homöopathischen Weltärztekongresses Leipzig 2017 (LMHI) schreiben. Ich denke jedoch nach der Lektüre des Grußwortes, ganz wohl war ihm dabei nicht. Man merkt wie er versucht, den KollegInnen, die an ihrer imaginativen Heilungsmethode festhalten, nicht zu Nahe zu treten. Seine Zahnschmerzen bei der Verhinderung eines berufspolitischen Eklats sind quasi spürbar. Homöopathie sei beliebt, schreibt er, ob sie wirke, sei nicht klar, HomöopathInnen seien auf jeden Fall nett und hätten Zeit und eigentlich hätten doch alle ausschließlich das Wohl der Patienten im Sinn.

Gegen die Zahnschmerzen des Herrn Bodendieck hat der LMHI etwas „Großartiges“ im Angebot. Dafür wende ich mich, ein weiteres Mal den Abstracts des Kongresses zu und finde dort Abstract FF01/02 mit dem Titel ‚Die erstaunliche Rolle von Natrium muriaticum bei Zahnproblemen‘ von K. Chandrak.

Wie in den vorangegangen Texten zum LMHI erinnere ich daran, dass es  sich hier um Abhandlungen mit wissenschaftlichem Anspruch handelt. Das ist zumindest der Anspruch der Homöopathen an sich selbst, wie sie offiziell nach außen kommunizieren. ÄrztInnen, die diesen Kongress besuchen, können sich die Teilnahme als Qualifikation anerkennen lassen. Der Kongress wird dem Forschungs- und Wissenschaftsstandort Leipzig als würdig erachtet.

So ist es selbverständlich angemessen, dass im Titel des Abstracts von „Zahnproblemen“ geschrieben wird. Damit dürfte jedem Fachmenschen klar sein, worum es geht. Klar, differenziert, präzise; so kennen wir die Homöopathen! Dankenswerterweise werden die „Zahnprobleme“ im Text noch spezifiziert: „Zahnschmerzen, Zahnfleischabszesse, orale Sepsis, Geschwüre, Stomatitis und Zahnverfall“ könnten durch Homöopathie erfolgreich behandelt werden. Natürlich liegt hier ein Scherz nahe. In diesem könnte man erwähnen, dass es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Zahnverfall und der Zufuhr von Zucker gibt. Darauf möchte ich an dieser Stelle jedoch verzichten, um die Seriosität der Veranstaltung LMHI nicht zu untergraben. Nichts läge mir ferner!

Im Behandlungsangebot welches im Abstract vorgestellt wird, finden sich „faule Zähne“, „Zahnfleischabszesse“ und „entzündliche Zustände“. Dafür nutzt man so klanghafte Verdünnungen wie Staphysagria, Plantago, Mercurius vivus und Salpetersäure, potenziert bis zur Nichtexistenz. Die Gesundheit der Mundhöhle wird in den Händen der Homöopathen ganzheitlich sich selbst überlassen.

Doch es gibt für die Behandlung von „Zahnproblemen“ ein Mittel, welches alle anderen beherrscht und im Mund wahrlich „Erstaunliches“ anrichtet. Um diesem „Segen“ für die Mundhöhle ein wenig mehr Legitimität zu verleihen, weist Autor Chandak darauf hin, dass auch Hersteller von Zahnpasta „Salz als wichtigen Bestandteil (…) betrachten“.

Nun bin ich natürlich kein Homöopath, doch wenn Salze in der Zahnpasta GUTES für die Zähne machen, sollte man sie dann, nach dem Ähnlichkeitsprinzip, in homöopathischer Zubereitung dort nicht vermeiden? Egal.

Der Erfolg gibt den Homöopathen, wie immer, Recht. In einer „prospektiven Beobachtungsstudie“ wurde Natrium muriaticum bei einer Gruppe von 30 Personen mit „unterschiedlichem Lebensstil“ und „völlig unterschiedlichen Arbeitsprofilen“ verabreicht, um die „Wirkung (…) bei Zahnproblemen herauszufinden.“ Von Interesse wäre an dieser Stelle, wie sich der Unterschied zwischen „unterschiedlich“ und „völlig unterschiedlich“ wohl darstellen mag.

Mit Natrium muriatitcum, so freut sich der Autor dieses wissenschaftlichen Abstracts, sei die Homöopathie „gesegnet“. Sie sei ein „Segen“ bei „Zahnschmerzen, trockenen Lippen und Mundwinkeln mit profusem Speichelfluss“. Diese unterschiedlichen Symptome könne man damit behandeln, weil es die „Symptome (…) Trockenheit parallel mit Trockenheit“ aufweise. Egal ob spröde Lippen oder Sabbern, die Homöopathen haben die Rettung!

Meine LeserInnen werden jetzt, wie ich, auf das Ergebnis dieser Studie gespannt sein. Um der Authentizität Willen, übernehme ich den Ergebnisteil an dieser Stelle wörtlich:

„Ergebnisse und Schlussfolgerung Goßartig! (Sic!) Positive und zufriedenstellende Antwort! Natrium muriaticum ist ein Mineral, das zur Aufrechterhaltung des Wasserhaushalts, der Verdauung, der Entfernung von Toxinen, der Elastizität der Zellen, der Oxygenierung, der Ernährung, des Natrium-Kalium-Gleichge-wichts usw. beiträgt. Es stärkt Knochen und Zähne.“

Diese verschlafenen Schulmediziner könnten sich von den Homöopathen wirklich ein Stück abschneiden: Da gibt man 30 Personen (über welchen Zeitraum?) ein potenziertes (welche Potenz?) Mineral und das Ergebnis ist „Großartig!“, die „Antwort zufriedenstellend“ und die Homöopathen haben auf diesem einfachen und „erstaunlichen“ Wege herausgefunden, dass „Natrium muriaticum (…) zur Aufrechterhaltung des Wasserhaushalts, der Verdauung, der Entfernung von Toxinen, der Elastizität der Zellen, der Oxygenierung, der Ernährung, des Natrium-Kalium-Gleichgewichts usw. (Sic!) beiträgt.“ Potzblitz, diese Homöopathen, kein Wunder, dass die so erfolgreich sind.

Die ollen Schulmediziner hätten für dieselbe Frage wieder nur ein paar Millionen verschwendet und am Ende behauptet, Homöopathie wirkt nicht. So ein Quatsch! Oder hat jetzt noch irgendjemand Zahnschmerzen?

20 Gedanken zu “LMHI – Auf den Zahn gefühlt

  1. Leider ist der unter homöopathischer ‚Therapie‘ empfohlene Verzicht auf fluoridierte Zahnpasta, oft über längeren Zeitraum, womöglich Karies fördernd.
    Ich habe so etwas schon selbst bei Patienten beobachtet und denke, es könnte einen Zusammenhang geben.

      1. Genau, keine Zahnschmerzen mehr. Und dann kann das Natrium voll in die Stärkung der Knochen gehen, ohne von den Zähnen abgelenkt zu werden!

  2. Dass Bodendieck in den Quellen für sein Grußwort auf das Netzwerk Homöopathie verweist, macht das vermutete Unwohlsein zur ziemlichen Gewissheit. Wobei man natürlich die Chuzpe anerkennen muss, in einem Grußwort ausgerechnet die Gegner der Gastgeber zu referenzieren, was dann dazu führt, dass die Gastgeber auch noch auf jene Gegner auf ihrer Webseite verlinken.

    1. Ich stelle mir mit Freude die diebische Freude bei den Initiatoren des INH vor wenn sie diesen Link bemerken :-)
      Der Link zeigt aber auch, was für ein politisch wackeliges Gelände die Homöopathie ist.

  3. Obwohlich bei Schmerzen aller Art gut gewerkte Texte ich bevorzuge, bevor ich nicht zum Homöopathen sondern zum Arzt gehe: bei Zahnschmerzen vertraue ich den hübschen Studenten und Studentinnen der UKM, gleich in meiner Nähe. ;-) Gerne gelesen!

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