LMHI – homöopathischer Autismus

Autismus als Diagnose für eine abgegrenzte psychische Störung ist relativ neu (im medizinhistorischen Kontext). Das Erleben und Leben von Menschen, die die Kriterien für diese Diagnose erfüllen, ist vermutlich so alt wie unsere Spezies. Doch durch die erhöhte öffentliche Wahrnehmung der Betroffenen, wenden sich auch die KollgInnen der sanften Professionen der Behandlung des Störungsbildes zu.

Und so gibt es auf dem „72. Homöopathische Weltärzte-kongress“ in Leipzig (LMHI) gleich zwei Vorträge zum Thema. Im Vortrag DF02/01 berichtet Maria Solange Gosik über die „Homöopathische Behandlung des kindlichen Autismus in einem psychosozialen Zentrum“ in Brasilien. S. Ranga wiederum thematisiert im Vortrag CM12/02 die „Interkurrente homöopathische Behandlung – die wichtigsten Arzneiantworten bei der Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung und Autismus-Spekturm-Störungen.“

Gosik schreibt über die Entstehung von Autismus und erwähnt neben der wissenschaftlich etablierten Ansicht genetischer Ursachen, die These von „Enzymdefiziten, die für die Einlagerung von Schwermetallen und für asymptomatische Nahrungsmittelunverträglichkeiten verantwortlich sind.“ Die „Enzymdefizite“ klingen stark nach Hypothesen, die davon ausgehen, dass „Schwermetalle“ in Impfungen“ Autismus hervorrufen. Hier beweist der DZVhÄ wieder den Mut auch Meinungen abseits vom Mainstream zu Wort kommen zu lassen. Die Enzymhypothese erinnert an einige „Therapien“ die bereits erfolglos aber schadensreich an Kindern mit Autismus ausprobiert wurden (z. B. eine Schwermetallbehandlung mit EDTH, die Kindern das Leben gekostet hat). Besonders Innovativ ist die Autorin bei der Postulierung einer „asymptomatischen Nahrungsmittelunverträglichkeit“ also einer Unverträglichkeit, die keine Symptome macht, die man also nicht bemerkt. Darauf muss man erst mal kommen!

Glücklicherweise ist eine homöopathische Behandlung von Autismus so sanft, dass niemand daran sterben wird. Sie ist sogar so sanft, dass man sie nicht einmal bemerken wird.

Eben dieses Problem wird in Rangas Vortrag thematisiert. Im Abstract steht „Die konstitutionelle Behandlung von Kindern mit ASD/ADD/ADHS trifft häufig auf eine Blockade, sodass die Kinder ab einem gewissen Punkt keine Fortschritte mehr machen.“ Es wäre zwar möglich, dass diese Beobachtung darauf beruht, dass die Wirkung unspezifischer Effekte (u.a. positive Erwartung, selektive Beobachtung, Umbewertung etc.) nachlässt, doch dafür haben die Homöopathen in ihrer Studie ganz sicher kontrolliert. 200 Jahre Erfahrung und Jahrzehnte der Forschung gehen sicher nicht ohne Wirkung an Ihnen vorüber. Weiter ist im Abstract zu lesen „Die am höchsten angezeigten Mittel, die den Kindern halfen, versagen und haben keinen Einfluss mehr, auch nicht bei der Verordnung höherer Potzenzen.“

Ob sich dieses Problem mit dem Ansatz Gosiks „dass die Theorie der Chronischen Krankheiten von Hahnemann zusammen mit den Aktualisierungen von Carillo die Elemente für das Verständnis der Pathophysiologie dieser Störung liefern“, lösen lässt, wird die Zeit zeigen.

Zeit ist ein gutes Stichwort. Kritiker der Homöopathie nennen als mögliches Schadenspotential einer homöopathischen Behandlung ja oft, dass eine sinnvolle Behandlung unterlassen wird. Ich finde das Argument eher schwach, da Schäden durch zu ein zu viel medizinischer Behandlung deutlich mehr Schaden entsteht. Der DZVhÄ versichert uns ohnehin immer glaubhaft, dass die „ärztliche Homöopathie“ das verhindert. Darum ist es hübsch, im Abstract zu lesen, dass „die klassische Methode des „watch and wait“ unter Verwendung eines einzigen angegebenen Konstitutionsmittels (…) nicht immer die gewünschten Ergebnisse (liefert)“. Menschen die sich mit der Behandlung von Kindern mit Autismus auskennen wird das nicht überraschen, denn „watch and wait“ könnte nicht weiter von der Behandlung von Kindern mit Autismus entfernt sein. Autismustherapie ist harte Arbeit für alle Beteiligten. Die nicht hilfreichen Verhaltens- und Wahrnehmungsbesonderheiten mit einigen Globuli verändern zu können, wäre natürlich nett. Doch wer diese Hoffnung weckt handelt ziemlich mutig. Aber das ist man beim DZVhÄ ja gewohnt. Und in diesem Fall hat der Verein für den 72. LMHI den Segen von u.a. Annette Widmann-Mauz, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, Barbara Klepsch, Staatsministerin des Freistaates Sachsen im Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz sowie Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer.

Wirklich neu und bahnbrechend ist die hier angewendete Marketingstrategie, mit der versucht wird, sich gegen die Erkenntnisse des medizinischen Establishments zu stämmen und dabei möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Der DZVhÄ hat über die Jahre gelernt, wie man sich sowohl bei Politikern, die der öffentlichen Gesundheit verpflichtet sind, als auch bei esoterischen Ideologen wie Antrophophen und anderen Impfgegnern anzubiedern. Genial! In beiden Abstracts werden Impfungen nicht mit einem Wort erwähnt. Die darin erwähnten Theorien speisen sich jedoch mehr oder weniger direkt aus Verschwörungen zum Thema Impfen. So wird bereits bei Tinus Smits „CEASE-Therapie“ (steht für „Complete Elimination of Autistic Spectrum Expression“) das Phänomen erwähnt, die Behandlung mit klassischer Homöopathie treffe nach einer gewissen Zeit an ihre Grenze. Dafür entwickelte Smits das Konzept der „Inspiring Homeopathy“. Smits sieht eine der Hauptursachen für Autismus in Impfungen (Neben Nasenspray in der Schwangerschaft…für die Mutter wohlgemerkt). Man könnte ihm zugute halten, dass er bereits 2010 verstarb, allerdings war auch da schon klar, dass die Hypothese Bullshit ist.

Mit diesen beiden Vorträge auf dem 72. LMHI in Leipzig schafft der DZVhÄ also den Spagat, sich „impfkritisch“ zu äußern, ohne sich „impfkritisch“ äußern zu müssen. Natürlich sollte man nicht weniger erwarten, von einem Verein, der Menschen behandeln kann, ohne sie zu behandeln. Trotzdem bin ich von der Eleganz beeindruckt.

An dieser Stelle ist eindeutig eine Lernkurve zu beobachten. Wir erinnern uns an das Jahr 2008 als die Sächsische Impfkommission (SIKO) es wagte, die Empfehlungen für Impfungen zum medizinischen Standard zu erheben. Der DZVhÄ sah sich damals bemüßigt, dies in einer Stellungnahme zu kommentieren und auf Risiken für Impfungen hinzuweisen. Dass man sich regelmäßig auf den ideologisch motivierten Verein „Ärzte für individuelle Impfentscheidung“ bezieht ist die Kirsche auf der Sahne.

Ich schrieb es wiederholt auf dieser Plattform, für überzeugte Homöopathen gibt es keine Diagnose, die sich nicht ausschließlich homöopathisch behandeln ließe. Q.E.D.

Weiterlesen:

Die Sicht auf die homöopathische Behandlung aus Perspektive der Familie einer Kindes mit Autismus findet sich auf diesem schönen Blog: Homöopathie und Autismus

Weitere Texte zum 72. Homöopathischen Weltärztekongress in Leipzig:

LMHI – Auf den Zahn gefühlt

LMHI – Grafologische Homöopathie

LMHI – Sanft bei Krebs

LMHI – Globuli gegen AIDS

12 Gedanken zu “LMHI – homöopathischer Autismus

  1. Danke für den Text und die Verlinkung.

    Zwei Anmerkungen: Die homöopathische Behandlung ist zwar sanft und kein Kind wird daran sterben (wenn nicht gerade wieder versehentlich zu viel Gift auf die Globuli getropft wird), aber ganz nebenwirkungsfrei ist es trotzdem nicht. Das Kind kann nicht unterscheiden, ob es Globuli oder wirksame Medikamente bekommt. Und so fördert die Gabe von Homöopathie im Kind das Gefühl „Ich bin krank, mein Anderssein muss behandelt werden“. Das schadet nachhaltig dem Selbstwertgefühl und der Selbstakzeptanz autistischer Kinder.

    Der ganze Absatz zu „watch and wait“ macht mir Bauschmerzen. Teilweise ist abwarten und das Kind sich einfach entwickeln lassen nämlich durchaus der richtige Weg. Auch autistische Kinder entwickeln sich einfach weiter, wenn man sie denn lässt. Die hier vermutlich gemeinte Therapieform ABA („für alle Beteiligten harte Arbeit“) ist höchst umstritten und wird heftig kritisiert. Das Argument ist tatsächlich eher kontraproduktiv.

    1. Danke für die Ergänzung. Das gilt natürlich für alle Kinder, die unnötige Medizin bekommen. Ihnen wird nicht nur suggeriert, dass sie falsch sind, sondern auch, dass sie krank sind und selbst nichts ändern können.

      ABA habe ich mit Absicht nicht erwähnt, weil es so kontrovers diskutiert wird und ich nicht wollte, dass etwas ablenkt. Natürlich hast Du Recht, dass es wichtig ist, auch geduld zu haben und Entwicklung Zeit zu geben. Aber bei der homöopathischen Behandlung ist das ja, das Konzept. Mit „harte Arbeit“ meinte ich nicht nur ABA, auch Ergo und Physiotherapei sowie Logopädie verlangen Energie. Ebenso wie ein Alltag, der gut strukturiert und geplant sein will. Und auch die Frustration, wenn Dinge nicht so funktionieren, wie die beteiligten sich das vorgestellt haben, habe ich dazu gezählt.

      1. Natürlich ist das Argument mit dem vermitteln von „Du bist falsch/krank, nimm etwas dagegen“ etwas, was letztendlich alle Kinder betrifft. Bei Autismus nur häufig noch ausgeprägter. Da kommen neben Homöomagie noch diverse andere Quacksalbereien und Bullshit-Therapien hinzu.

        Auch wenn der Absatz nicht auf ABA abzielte, so war er doch ziemlich missverständlich. Er befeuert das Tragödienmodell und die Darstellung von Autismus als furchtbarer Belastung für die Kinder und Familien. Natürlich ist es anstrengend, das leugnet niemand. Aber „für alle Beteiligten harte Arbeit“? Ich glaube, ich kann nicht hundertprozentig in Worte fassen, warum mich diese Formulierung stört.
        Und ja, Homöopathie „funktioniert“ genau durch das Abwarten und die positive Erwartungshaltung der Eltern. Das ist ja die Krux daran. Das habe ich ja auch in meinem hier verlinkten Artikel aufgegriffen. Trotzdem ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass Abwarten nicht zwangsläufig falsch ist.

        In Summe: Danke fürs zuhören und erklären. Ich nörgele auf sehr hohem Niveau und meine das auch keineswegs böse.

      2. Keine Sorge, ich bin schlimmeres gewöhnt ;-) Und der Hinweis ist wichtig, nur weil ich etwas meine gesagt zu haben, muss das ja nicht so gelesen werden.

      3. Es geht also: Man kann im Internet Kritik äußern, annehmen und diskutieren und Sachen damit klarstellen. Danke :)

        KollgInnen der sanften Professionen ist übrigens auf elegante Art böse. Gefällt mir!

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